Nach 1880 fand Kaulbach auch vermehrtes Interesse an religiösen Themen. Allerdings folgte er in der Interpretation dieser Motive wiederum seinem glänzenden Ruf als Bildnismaler und präsentierte das Gros dieser Arbeiten entprechend dem Typus des Portraits.
Vorliegendes Pastell steht exemplarisch für diese Umdeutung; das blondgelockte Kind mit den klaren, aber nachdenklichen Augen stammt in seiner Frische ganz aus dem zeitlichen Umfeld des Betrachters. Im Gegensatz dazu erscheint Maria mit ihrem klassischen Profil und Habitus jedoch wie der Renaissance entlehnt. Ihr verschatteter Blick und die ahnungsvoll-traurige Umarmung des Kindes versinnbildlichen bereits das prophezeite Schicksal.
Auch wenn Kaulbach selbst diese Zeichnung nicht schriftlich betitelte, so nahm Fritz von Ostini das Pastell bereits 1911, also noch zu Lebzeiten des Künstlers, unter dem Titel Maria in sein erstes Werkverzeichnis auf. Klaus Zimmermanns listete es in seiner Monographie von 1980 ebenfalls unter den Religiösen Themen.